In der Versicherungsbranche ist die Prozessoptimierung ein entscheidender Faktor für den Erfolg jedes Unternehmens. Doch um Prozesse zu verbessern, müssen sie zuerst verstanden und dokumentiert werden. Klassische Methoden der Prozessdokumentation, wie Workshops, Interviews und Beobachtungen von Prozessteilnehmern, führen jedoch oft zu unvollständigen und ungenauen Prozessabbildungen, die nicht der Realität entsprechen.
Warum ist das so? Weil die Beschreibungen der Prozessbeteiligten oft Fehler in der Wahrnehmung enthalten, wie z. B. eine falsche Reihenfolge der Arbeitsschritte, ungenaue Schätzungen der Dauer von Aktivitäten und das Fehlen von selten vorkommenden Arbeitsschritten.
Abbildung 1: Prozessdiagramm entwickelt im Rahmen von Interviews, Workshops und Beobachtungen
Mittels Process Mining alle Prozesse erfassen
Doch es gibt eine Lösung: Process Mining. Diese Methode basiert nicht auf subjektiven Beschreibungen der Prozessteilnehmer, sondern auf den in der Vergangenheit gesammelten Prozessdaten, enthalten in den verschiedenen Systemen des Unternehmens. Durch die Sammlung und Analyse von Logdaten und weiteren Informationen können Engpässe sowie Schwachstellen in Geschäftsprozessen erkannt werden. Im Gegensatz zur klassischen Prozessdokumentation kann Process Mining auch seltene Prozessvarianten, die in Workshops und Interviews oftmals übersehen werden, visualisieren.
Abbildung 2: Prozessdarstellung durch Process Mining in Celonis
Wie in Abbildung 2 dargestellt, kann ein durch Process Mining abgebildeter Prozess eine Vielzahl von Merkmalen berücksichtigen. Dazu gehören u.a.
- die Arbeitsschritte in der tatsächlich durchgeführten Reihenfolge,
- die Anzahl der Durchläufe,
- die Ausführungsdauer,
- die Anzahl der durchlaufenen Geschäftsvorfälle
- und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Prozessvarianten.
Letzteres ist besonders hilfreich, um festzustellen, inwieweit der Ist-Prozess vom Soll-Prozess abweicht.
Mit der richtiigen Methode fehlende Prozesse identifizieren
Mit der richtigen Methode fehlende Prozesse identifizieren
Obwohl Abbildung 1 und Abbildung 2 den gleichen Prozess beinhalten, ist festzustellen, dass Abbildung 2 detaillierter ist als Abbildung 1. In Abbildung 2 ist eine Schleife in der Aktivität „Deckungsprüfung durchführen“ zu erkennen. Dieser ist jedoch in der Abbildung 1 nicht sichtbar. Außerdem zeigt das BPMN-Diagramm nicht den Ablauf von „Haftungsprüfung durchführen“ zu „Schaden regulieren und erstellen“. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Prozessbeteiligten vergessen haben, diesen Ablauf zu erwähnen, weil dieser selten vorkommt. Außerdem fehlt im BPMN-Diagramm die Aufgabe „Gutachten erstellen“.
Erstellung eines Eventlogs
Um Darstellungen wie in Abbildung 2 wiedergeben zu können, müssen die Prozessdaten transformiert und in ein so genanntes Eventlog umgewandelt werden. Ein Eventlog besteht aus drei Hauptattributen:
- Case_Id (auch Fall_Id oder Geschäftsvorfall_Id genannt),
- Activity (Aktivität)
- und Timestamp (Zeitpunkt).
Unter Case_Id wird ein eindeutiger Schlüssel für jeden Geschäftsvorfall definiert, während Activity die Aktivitäten, also die durchgeführten Aufgabenschritte des Geschäftsvorfalls beschreiben.
Durch das Attribut Timestamp kann man rückverfolgen, wann ein Geschäftsvorfall begonnen und ggf. abgeschlossen wurde und damit die Zeit der Ausführung jeder Aktivität sowie Wartezeiten zwischen den Aktivitäten messen. Dafür wird unter anderem Timestamp in Start_Timestamp und End_Timestamp zerlegt. Dieses Attribut ist auch besonders hilfreich, um die Aktivitäten in der richtigen Reihenfolge zu sortieren. Neben diesen drei Hauptattributen können weitere Attribute eingefügt werden, die für die Beschreibung der Geschäftsvorfälle wichtig sind.
Abbildung 3: Beispiel eines Eventlogs
Vorteile von Process Mining im Überblick
Durch Process Mining stehen dem Prozessanalysten mehr Informationen und tiefere Einblicke (siehe Abbildung 2) in die Prozessabläufe zur Verfügung. Schwachstellen und Engpässe wie lange Ausführungszeiten einzelner Aufgaben, unerwartete Aktivitäten, falsche Ausführungsreihenfolgen etc. können durch die Analyse einzelner Prozessvarianten identifiziert werden.
Der Analyst kann herausfinden,
- wie oft eine Aktivität ausgeführt wurde,
- wie lange jede Aktivität gedauert hat,
- ob die Ausführungsreihenfolge der Aktivitäten dem Standard entspricht,
- ob eine Aktivität mehrmals für den gleichen Geschäftsvorfall ausgeführt wurde
- und vieles mehr.
Dieser Überblick über alle Engpässe und Schwachstellen hilft dem Prozessanalysten, optimale Entscheidungen zu treffen, um Prozesse zu optimieren. Mit Process Mining haben Unternehmen die Möglichkeit, ihre Prozesse anhand realer Gegebenheiten anzupassen und darauf aufbauend optimale Prozessabläufe zu implementieren. Auf diese Weise können Versicherungsunternehmen ihre Prozesse effizienter gestalten und damit letztendlich Zeit und Kosten sparen.
Autor: Raymond Azamo
Als Teil des PPI Process Mining Teams beschäftigt sich Raymond Azamo im Rahmen der Intelligenten Prozessautomatisierung (IPA) u. a. mit den Themen Process Mining, KI und CRM. Als studierter Wirtschaftsinformatiker ist er erfolgreich als IT-Berater in der Versicherungsbranche tätig.