Das Thema Quantum Computing (QC) hat in der Vergangenheit immer große Erwartungen geschürt (1), doch schien die kommerzielle Nutzung noch weitestgehend begrenzt. Schaut man genau hin, ist die Second Quantum Revolution, also die produktive Anwendung quantenmechanischer Prinzipien in der Informationsverarbeitung, aber bereits realisierbar. Denn Google als einer der Treiber der Entwicklung kommerziell nutzbarer Quantencomputer, konnte bereits im Jahr 2019 die Quantum Supremacy für ein spezifisches Problem darstellen (2). Höchste Zeit also, noch einmal zu analysieren, wie Versicherer, speziell jene mit einem hohen Grad an Digitalisierung, von den neuen technologischen Möglichkeiten profitieren könnten.

Dass Quantum Computing kein einfach zu verstehendes Thema ist, dürfte jedem klar sein, der sich einmal mit Quantenmechanik auseinandersetzen musste. Wie die Physik-Koryphäe Richard Feynman einst sagte: „I think I can safely say that nobody really understands quantum mechanics“ (3). Und doch haben wir heute Zugriff auf nutzbare Quantencomputer. Dabei erscheinen sie zwar in ihrem Wesen noch leicht betagt, sind sie doch nicht so flott auf den Beinen und ihr Gedächtnis ist auch nicht das Beste. Dies ändert aber nichts am enormen Potenzial der Technologie. Ohne in die Glaskugel schauen zu müssen, kann man sagen, dass Quantencomputer im Laufe der nächsten Jahre schneller und verlässlicher werden. Denn eine starke Front aus renommierten Universitäten, Techgiganten und Start-ups arbeitet ununterbrochen am breiten Durchbruch der Technologie. So hofft IBM, bis 2023 einen Quantencomputer mit 1.000 Qubits zu bauen. Zum Vergleich: Der oben erwähnte Quantencomputer von Google aus dem Jahr 2019 besaß gerade einmal 54 Qubits (4).

Das Qubit bildet die Grundlage von Quantencomputern

Was ist so ein Qubit eigentlich? Ein Qubit ist ein quantenmechanisches Zweizustandssystem, das bestimmte Eigenschaften besitzen muss, um für die Benutzung in einem Quantencomputer in Betracht gezogen zu werden. Technisch werden derzeit verschiedene infrage kommende Systeme exploriert – so etwa Ionen in Ionenfallen, supraleitende elektronische Schaltkreise oder Photonen. Doch warum sind Berechnungen mit diesen Qubits so interessant? Dies liegt an der Fähigkeit dieser quantenmechanischen Systeme, in einem Zustand der Superposition existieren zu können. Soll heißen: Sie können theoretisch zwei Werte gleichzeitig tragen. Effektiv kann man also auf einem Qubit zwei Berechnungen gleichzeitig durchführen. Sind zwei Qubits quantenmechanisch verschränkt, lassen sich mit Ihnen 2 hoch 2 Berechnungen gleichzeitig durchführen, mit drei verschränkten Qubits 2 hoch 3 (5). IBM könnte mit 1.000 Qubits also theoretisch eine gigantische Menge an gleichzeitigen Berechnungen durchführen. Nichtsdestotrotz wäre solch ein Quantencomputer nur ein weiterer Meilenstein hin zur Ausschöpfung des vollen Potenzials der Technologie, wie etwa der Entschlüsselung derzeitiger Verschlüsselungsstandards im Internet (6).

Schneller Fortschritt bei den Grundvoraussetzungen für komplexe Berechnungen

Die Anzahl der Qubits alleine ist aber nicht entscheidend für den Fortschritt des Quantum Computings. Denn die Herausforderung beim Bau echter Quantencomputer liegt darin, eine Dekohärenz des Qubitsystems zu vermeiden, also jeden Einfluss der Umgebung wie Erschütterungen, Temperaturfluktuationen oder elektromagnetische Wellen abzuschirmen. Gelingt dies nicht oder nur unvollständig, wird eine komplexe Berechnung zusehends Fehler ansammeln und das Ergebnis letztlich im Fehlerrauschen verschwinden (7). Ein Teil der Lösung dieses Problems könnte im Ansatz des Quantum Threshold Theorem und im Einsatz von Quantum-Error-Correction-Algorithmen liegen. Letztgenannte sollen ein korrektes Ergebnis auch bei komplexen Berechnungen sicherstellen. Doch auch wenn das Problem der Dekohärenz noch nicht abschließend gelöst ist, folgt derzeit ein Fortschritt dem anderen und das lässt eine (Zwischen-)Lösung in greifbare Nähe rücken (8).

Early Adopters nutzen bereits existierende QC-Ökosysteme zur Exploration

Daher bieten Techgiganten wie Microsoft, Google, Amazon und IBM schon jetzt Cloud-basierte Quantum-Computing-Ökosysteme an. Diese bieten direkten Zugriff auf QC-Emulatoren, -Simulatoren oder eben auf echte Quantencomputer. Der Zugriff ist wohlgemerkt nicht nur für Forscher, sondern auch für interessierte Firmen und Individuen möglich. So erlaubt IBM etwa die freie Verwendung eines Fünf-Qubit-Quantencomputers (9). Ebenso gibt es zahlreiche Start-ups wie Xanadu und Rigetti, die an Quantencomputern arbeiten und QC-Plattformen öffentlich zugänglich machen. Early Adopters wie Daimler, JPMorgan Chase, Samsung und andere großen Firmen aus der Finanz- und Techindustrie (10, 11) nutzen bereits jetzt exklusiv das IBM Quantum Network, um in Zukunft komplexe Probleme effizient lösen zu können.

Das Versprechen von Quantum Computing für Versicherer

Auch für Versicherungsunternehmen ergeben sich zahlreiche Anwendungsfälle und Nutzungsszenarien des Quantum Computings. Speziell im Bereich Risk Modelling sind die Einsatzmöglichkeiten der Technologie potenziell grenzenlos. Riesige Datenmengen und komplexe Modelle können in kürzester Zeit sinnvollen Output liefern. Mögliche Szenarien wären beispielsweise (12):

  • die Simulation von Wettersystemen, um Katastrophen und damit assoziierte Risiken besser vorherzusehen und einzuschätzen,
  • eine Realtime-Risikoaggregation im Underwriting,
  • die Modellierung von Supply Chain Interruptions und damit verbundenen Risiken und
  • die schnelle Berechnung von Liability-Risiken.

Darüber hinaus bietet die schnelle Verarbeitung riesiger Datenmengen weiterführendes Potenzial in verschiedenen Bereichen:

  • IoT und darauf aufbauender Produkte,
  • effiziente, individuelle Customer Journeys,
  • verbessertes Customer Relationship Management,
  • Realtime-Automatisierung der Claims Function und
  • Verbesserung und breiter Einsatz von Artificial Intelligence

Versicherer als mutige Early Adopters?

Dass auch Versicherungsunternehmen das Potenzial funktionierender Quantencomputer nutzen werden, steht außer Frage. Doch ist die Branche auch mutig genug, als Early Adoper aufzutreten?

Wer jetzt bereits Nutzungsszenarien identifiziert, gar in den Aufbau von Expertise und Infrastruktur investiert und eine klare Roadmap für die Nutzung von Quantencomputern festlegt, kann entspannt auf die Entwicklung der nächsten Jahre schauen. Wer vor dieser Technologie die Augen verschließt, könnte hingegen schnell vom disruptiven Charakter eines kommerziellen Durchbruchs überrollt werden.

Eine Roadmap für den Quantumvorteil

Mit welcher Roadmap werden Sie als Versicherer schon bald „Quantum-ready“? Es empfiehlt sich, eine Fünf-Punkte-Strategie zu verfolgen (13):

  1. Greifen Sie auf Technologieexperten als Quantum Champions zurück, die einen guten Einblick in den potenziellen Nutzen von Quantum Computing und den Einfluss auf Ihr Geschäftsmodell haben.
  2. Erarbeiten Sie basierend auf diesem Expertenwissen konkrete Use Cases und die dadurch entstehenden Vorteile.
  3. Experimentieren Sie mit echten Quantencomputern (oder Simulatoren). Leiten Sie Schritte für eine technologische Verknüpfung mit Ihrer Infrastruktur und IT-Architektur ab.
  4. Verfolgen Sie die dynamische Entwicklung im Bereich QC und analysieren Sie die sich herausbildenden Best Practices, Toolkits und Ökosysteme in Bezug auf die von Ihnen identifizierten Use Cases.
  5. Handeln Sie, sobald sich ein Quantum Advantage herstellen lässt.

Wir helfen Ihnen gerne beim Einstieg in das Thema Quantum Computing und bei der Orientierung hinsichtlich vorhandener Ökosysteme, neuer Programmiersprachen und Use-Case-Exploration.

Quellen

  1. https://www.gartner.com/smarterwithgartner/5-trends-emerge-in-gartner-hype-cycle-for-emerging-technologies-2018/
  2. https://www.nature.com/articles/s41586-019-1666-5
  3. https://www.nytimes.com/2019/09/07/opinion/sunday/quantum-physics.html
  4. https://www.nature.com/articles/d41586-021-00533-x
  5. https://spectrum.ieee.org/tech-talk/computing/hardware/photonic-quantum
  6. https://www.sciencemag.org/news/2020/09/ibm-promises-1000-qubit-quantum-computer-milestone-2023
  7. https://blogs.scientificamerican.com/observations/the-problem-with-quantum-computers/
  8. https://spectrum.ieee.org/tech-talk/computing/hardware/quantum-computer-error-correction-is-getting-practical
  9. https://www.ibm.com/blogs/research/2020/09/ibm-quantum-roadmap/
  10. https://www.ibm.com/quantum-computing/network/members
  11. https://www.industryweek.com/technology-and-iiot/emerging-technologies/article/22024750/ibm-taps-samsung-daimler-in-quantum-computer-push
  12. https://finadium.com/lloyds-impacts-of-quantum-computing-on-insurance/
  13. https://www.ibm.com/thought-leadership/institute-business-value/report/quantumstrategy

(Bildquelle: IBM News Room)

4 comments
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1  +  7  =  

Verwandte Artikel
Insurance and Metaverse
Mehr

Insurance and Metaverse

Potenziale für Versicherer in digitalen Welten Virtuelle Parallelwelten existieren bisher vor allem im Gamingbereich. Prominente Beispiele sind hier unter anderem Fortnite, World of Warcraft und…