Der Begriff der Digitalisierung befindet sich im Wandel – stand er vor wenigen Monaten noch für die neue Kultur „Immer, Überall, Digital“, entwickelt sich die Digitalisierung mehr und mehr zu einem Schreckgespenst für die deutsche Versicherungsbranche. Viele Versicherer stehen vor der Herausforderung, neben dem umfangreichen Bestandsgeschäft und dem größer werdenden Kostendruck neue und innovative Ideen voranzutreiben und umzusetzen. Wie soll das eigentlich gehen?
Meine Antwort ist: Einfach mal auf das „Schwarze Pferd“ setzen. Das „Schwarze Pferd“ oder das „Black Horse“ ist ein Begriff aus dem Design-Thinking-Prozess und steht im Allgemeinen für eine unrealistische Lösung. Typischerweise werden im Rahmen einer Projektinitiierung realistische Lösungsmöglichkeiten für die Weiterentwicklung von Fach- und IT-Systemen skizziert. Auf dieser Basis werden Business Cases erstellt und Projektanträge geschrieben. Immer häufiger erlebe ich aber, dass die Mitarbeiter bereits vor Projektstart wissen, dass das Projekt die eigentlichen Probleme gar nicht löst, sondern nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein ist“.
Ich bin der Meinung, dass vor der Projektinitiierung viel stärker auf das eigentliche Problem aus Kundeneinsicht eingegangen werden muss. Was hilft beispielsweise die Einführung eines vollautomatisierten Callcenters, wenn die Kunden viele Fragen haben? Ein vollautomatisiertes Callcenter reduziert zwar die Kosten des Versicherers, aber löst es wirklich das Problem? Könnte das Problem nicht auch sein, dass der Kunde die Produkte nicht richtig versteht und verunsichert ist? Könnte die Lösung dementsprechend nicht sein, Produkte einfacher zu präsentieren und die Vertragsbedingungen einfacher und transparenter zu gestalten? In diesem Fall könnte ein Versicherer die eigenen Kunden befähigen, die notwendigen Informationen selbst zu finden und nur im Callcenter anzurufen, wenn sie wirklich sehr spezielle Fragen haben. Dies würde neben einer Kostenreduktion auch zu einer höheren Kundenzufriedenheit führen.
Mit dem Ansatz des „Black Horse“ aus dem Design Thinking werden genau solche Lösungen in Betracht gezogen, auch wenn sie nicht direkt auf der Hand liegen oder gar nicht als Lösungsmöglichkeit in Betracht gezogen werden würden. Oftmals werden solche neuartigen Ideen und Vorschläge kontrovers innerhalb der Organisation diskutiert. Aber ganz ehrlich, was kann denn passieren? Mit Hilfe von sogenannten Reframing-Techniken können Lösungen erarbeitet werden, die weniger offensichtlich sind und somit auch ein höheres Konfliktpotenzial besitzen. Doch gerade diese Spannungen helfen dabei, neue Perspektiven einzunehmen und zusätzlich Lösungsansätze vor der Projektinitiierung zu testen.
Die Lösungsansätze können beispielsweise kostengünstig als Papierprototyp erstellt werden. Und wenn SIE einen wirklich neuen und innovativen Lösungsansatz generieren und zur Projektreife führen – so habe ich es schon mehrfach erlebt – werden SIE als eine Schlüsselressource für das Thema Digitalisierung wahrgenommen. Es gilt also: An die Arbeit! Helfen Sie Ihrem Unternehmen in der Digitalisierung auf Kurs zu bleiben!
Ihr Julian Schmidt
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