In unserem letzten Blogbeitrag haben wir die Rolle von Tesla in der Automobilindustrie dargestellt und Parallelen zur deutschen Versicherungsbranche gezogen. Außerdem haben wir einen Einblick erhalten, wie die Digitalisierung in den Versicherungen voranschreitet und welche Herausforderungen dabei auftreten. In diesem Beitrag nähern sich unsere drei Experten, Armin (aaronprojects), Carlo (Nect) und Sascha (PPI), der Antwort auf die Frage, welches das nächste Tesla in der Versicherungsbranche sein könnte.
Auch in der Versicherungsbranche gibt es „Teslas“. Carlo, stell uns diese doch bitte mal vor.
Carlo: Setzt man Teslas gleich mit Innovatoren, können als Vergleich eindeutig InsurTechs genannt werden. Sie sind Treiber der Digitalisierung in der Versicherungsbranche und haben im Verlauf der letzten drei Jahre erheblich an Nachfrage gewonnen. Dabei brechen diese aus der herkömmlichen Leistungsbereitstellung aus und verändern bzw. erneuern Teile der Wertschöpfungskette. Die wohl bekanntesten sind Clark, Knip, GetSafe und Friendsurance und bringen, genau wie Tesla und UBER in der Mobilitätsbranche, enorme Bewegung in den Markt.
Zu argumentieren, der Marktanteil der InsurtTechs sei viel zu gering und somit keine Gefahr für die etablierten Versicherer, wäre fatal. Diese haben sehr genau hingehört und setzen die Kundenbedürfnisse konsequent um. Zeiten, in denen der Versicherungsordner im Aktenschrank einstaubt, neigen sich dem Ende zu. Technologieaffine Millennials können mit dem herkömmlichen Bild einer Versicherung wenig anfangen und werden zukünftig vermutlich weniger Versicherungsvertreter aufsuchen, um eine Police abzuschließen. Vielmehr wollen sie mit dem Smartphone mit ihrem Versicherer kommunizieren. Genau das haben die InsurTechs verstanden und setzen dies durch einfache Produkte und Prozesse um. Hierbei handelt es sich um einen Trend mit rasantem Wachstum, den die etablierten Player nicht ignorieren sollten, da die InsurTechs sehr geschickt auf Kundenfang gehen.
Sascha: Da gebe ich Carlo Recht. Die Ansätze, die durch die Insurtechs verfolgt werden, sind durchaus gut. Insbesondere die sehr starke Fokussierung auf die wachsende Zahl von digitalen bzw. sogenannten hybriden Kunden wurde durch die Branche bisher verschlafen.
Allerdings ist hier nicht alles Gold, was glänzt. Problematisch sehe ich das Geschäftsmodell, das vielen der bereits erwähnten Ansätze zugrundeliegt. Ziel ist es in erster Linie, mit dem Kunden Provisionen zu erwirtschaften. Dies geschieht z. B. durch die verpflichtende Übertragung der eigenen Verträge mit Hilfe eines Maklermandats und damit zusammenhängender Bestandsprovisionen oder den Bezug von Abschlussprovisionen durch den Vertrieb neuer Verträge. Teilweise ist den Kunden gar nicht bewusst, in welche Abhängigkeit sie sich durch die Nutzung dieser Applikationen begeben. Auch die bereitgestellten Funktionen sind rein vertriebsorientiert und bieten dem Kunden darüber hinaus kaum Mehrwerte.
Aus Sicht der Versicherungsunternehmen gibt es keine Vorteile. Häufig besitzen die InsurTechs Maklerstatus, um auch vertrieblich bzw. beratend tätig zu sein. Dies hat allerdings zur Folge, dass der Einfluss der Versicherer auf ihre Kunden sinkt. Weiterhin werden durch das Maklermandat bzw. das Umdecken der Verträge auf das InsurTech die eigentlichen Vermittler dieser Kunden aus den Verträgen verdrängt und damit geschwächt.
Armin: Die heutigen InsurTechs sind auch für mich eher Zwischenlösungen. Auch ich sehe den klaren Fokus auf den Kunden und der Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Meiner Meinung nach sind die InsurTechs in diesem Bereich schon weitgehend digitalisiert. Aber auch hier besteht eine Analogie zur Automobilwelt. Es gibt hervorragende Mobilitätskonzepte wie Car2go oder DriveNow. Lebe ich jedoch in kleineren Städten, wo dieser Service nicht funktioniert, ist er wertlos. Was wir brauchen, sind übergeordnete Konzepte wie UBER sie anstrebt. Herstellerübergreifende Lösungen für ein übergeordnetes Mobilitätskonzept. Das ist das, was ich als Kunde will. Und das wird sich auch durchsetzen. Wir arbeiten immer noch viel zu sehr an aufwändigen und teuren Insellösungen. Das fiel mir im Softwareumfeld im Versicherungsbereich deutlich auf.
Sascha: Ganz genau. Die Versicherer wollen ebenfalls von den Möglichkeiten der digitalen Welt profitieren. Und sie tun das, indem sie eigene Portale und mobile Applikationen entwickeln. Dabei stellt sich aus Kundensicht natürlich die Frage, wie sinnvoll es ist, mehrere Apps und Portale zu bedienen, nur um seine Versicherungsangelegenheiten zu regeln. Insbesondere bei den mobilen Applikationen zeigt sich, dass die Unternehmen teils mehrere Apps für unterschiedliche Funktionen bereitstellen. Für die vielgepriesene User-Experience ist das natürlich eine Katastrophe. Ganz abgesehen von den Kosten für Marketingmaßnahmen, um Reichweite zu erzeugen.
Noch schlimmer ist allerdings die Heterogenität im Bereich Authentifizierung. Für jede Anwendung muss sich der Kunde unterschiedliche User/Passwort-Kombinationen merken und diese dann auch zielgerichtet einsetzen. Nicht umsonst ist „Passwort vergessen“ die meistgenutzte Funktion bei Self-Service-Portalen.
Im realen Leben kann ich mich mit meinem Personalausweis identifizieren – in der digitalen Welt fehlt eine solche Identität.
Das Interview führte für Sie
Maximilian Bohlen
Maximilian Bohlen ist Bachelor der Betriebswirtschaft und angehender Wirtschaftsinformatiker. Bei PPI arbeitet er als Consultant im Bereich Versicherungen. Seine Stärke ist die Beratung und Umsetzung an der Schnittstelle zwischen versicherungsfachlichen Anforderungen und modernen IT-Systemen