Vertrieb – eine ganzheitliche Betrachtung
Die Überschrift ist etwas groß geraten, da wir mit einer wirklich ganzheitlichen Betrachtung hier sicher den Rahmen eines Artikels sprengen würden. Nichtsdestotrotz werde ich versuchen, alle relevanten Phasen des Vertriebs anzusprechen und zumindest oberflächlich auf die Auswirkungen der Digitalisierung abklopfen.
1. Potenzial Selektion/Erkennung
Adresslisten führen, Zielgruppen erkennen, Cross-Selling-Möglichkeiten auswerten und Ablauflisten im Blick behalten – diese Themen gehören sicherlich zu den bekanntesten Vertretern der Digitalisierung. Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass die IT schon heute deutlich mehr leisten kann. Datamining-Techniken können helfen, auch aus Bewegungs- oder Umfelddaten interessante Potenziale zu filtern und Verbindungen herzustellen, die ein Mensch aufgrund der Datenflut gar nicht mehr erkennen kann.
Viel spannender wird es aber, wenn moderne Systeme auch Fehlpotenziale erkennen und ausfiltern. Unnütze Kontaktversuche zu solchen nicht passenden Potenzialen werden damit verhindert. Viel Zeit und Geld kann gespart werden.
Stellen Sie sich vor, dass Sie als Außendienstler nicht selbst nach potenziellen Kunden suchen, sondern Ihr System Ihnen selbstständig die möglichen Kontakte aufzeigt und warum diese interessant sind – und das Ganze mit einem deutlich höheren Chancenpotenzial als bisher.
2. Potenzial Ansprache/Interesse wecken
Die klassische Ansprache per Telefon kostet sehr viel Zeit und begrenzt die Menge des betreubaren Bestandes erheblich. Automatisierter E-Mail-Versand, Geburtstagsgrüße oder Standardschreiben bei Vertragsabläufen sind hier die üblichen Lösungen. Sicherlich werden viele von Ihnen nun sagen: „Ich wäre schon froh, wenn das vernünftig funktionieren würde“. Aber trotzdem ist das nur die Spitze des Eisbergs. Moderne Systeme sind in der Lage, selbstständig (autoaktiv) und azyklisch Kunden zu kontaktieren und angepasst an die Bedürfnisse des Einzelnen Fragen aufzuwerfen oder Chancen aufzuzeigen. Der Verkäufer ist hier erst wieder gefordert, wenn eine Rückmeldung des Kunden vorliegt.
3. Bedarfsanalyse/Produktselektion
Der althergebrachte Weg der Bedarfsanalyse von der Aufnahme vieler Daten zu einer 100‑seitigen Expertise, die zum Schluss nicht gelesen wird, ist aufwändig, fehlerträchtig und steht meist in keinem Verhältnis zu den damit erzielbaren Umsätzen.
Hier müssen deutlich dynamischere und erlebbarere Lösungen gefunden werden, die es dem Vertriebler erlauben, zusammen mit dem Kunden dessen Anforderungen zu erkennen, um hier konkret als Partner des Kunden wahrgenommen zu werden.
Diese Lösungen müssen schnell verwertbare Ergebnisse bringen, um sowohl im Sinne des Kunden, als auch im Sinne des Vertrieblers „keine Facharztanamnese für einen Schnupfen zu benötigen“. Immer dann, wenn fachliche Tiefe sinnvoll und notwendig ist, muss diese aber schnell und kundenverträglich vorhanden sein, um klare Produktempfehlungen bis hin zu Tarifen aussprechen zu können.
4. Verkauf Abschluss
Der Abschluss ist – so glaube ich – das Thema, mit dem sich die Versicherer und Vertriebe heute schon am meisten auseinandergesetzt haben. Hier geht es um Dokumentenversand, eCash und Archivierung – fast schon zu banal für meinen Blog. J
5. Betreuung
Die Betreuung des Kunden geht nahtlos einher mit dem Potenzial Selektion und Ansprache. Jeder Betreuungskontakt ist natürlich auch ein Potenzialkontakt, daher sind hier in einem digitalen Vertrieb die gleichen Vorgehen und Regeln anzusetzen.
Schauen wir uns diese Bilder an, ist allen klar, dass sehr viel Arbeit vor uns liegt, um solche Techniken einzuführen. Die größten Probleme liegen dabei aber gar nicht in der IT selbst, auch wenn diese aufgrund stark inhomogener Altsysteme meist auch schon unüberwindbar wirken, sondern im notwendigen Wandel der Beteiligten. Prozesse und Strukturen müssen sich ändern. Vertriebsziele und -vorgaben müssen umdefiniert werden.
Der Vertriebler muss bereit sein, sich von zentralistischen Systemen führen zu lassen, ohne Angst haben zu müssen, in eine komplette Abhängigkeit zu geraten. Die Gesellschaften wiederum müssen ihrerseits Sicherheit bekommen, dass die Mitarbeiter stabil im System verbleiben. Die steigende spezialisierte Qualifikation der Vertriebler wird teuer erkauft mit Geld und – da weniger, aber besser ausgebildete Mitarbeiter benötigt werden – einer höheren Abhängigkeit von diesen Mitarbeitern, die ihrerseits Kunden emotional binden.
Ihr Gerrit Götze
#Digitalisierung #Versicherungen #digitalerVersicherungsvertrieb
PS: In meinem Blog trenne ich nicht wirklich zwischen Online- und Offline-Verkauf, nicht zwischen Selbstabschluss und Beratungsverkauf, so wie es viele meiner Kollegen machen. Warum ich das so sehe, steht zwischen den Zeilen zwar auch schon in diesem Text – ich werde aber in meinen nächsten Artikeln ausführlich darauf eingehen.